Preisträger

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Foto: David von Becker

Omer Fast

(geboren 1980 in Paris, lebt und arbeitet in Berlin)

Begründung der Jury:

Omer Fasts Filmprojekte – so auch die in der Ausstellung gezeigte Arbeit‚ ’Nostalgia’ – zeichnen sich durch eine virtuose Auseinandersetzung mit dem Medium Film und seinen unterschiedlichen Ausdrucksformen aus. Von einem Flüchtlingsschicksal ausgehend, gelingt es dem Künstler, den Betrachter von der Gegenwart in eine fiktive Vergangenheit zu führen. Dies geschieht durch eine raffinierte Dramaturgie von drei Film-Erzählungen, die in ihrer räumlichen Inszenierung und in ihrer Vielschichtigkeit eine beeindruckende psychologische Dichte erzeugen. Omer Fast ist ein großer Geschichtenerzähler unserer Zeit.

Shortlist

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Foto: David von Becker

Keren Cytter

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Foto: David von Becker

Omer Fast

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Foto: David von Becker

Annette Kelm

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Foto: David von Becker

Danh Vo

Shortlist-Ausstellung

11. September 2009 – 3. Januar 2010
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin

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Keren Cytter, Ohne Titel, 2009, Video (Stills) | Courtesy Keren Cytter / Galerie Elisabeth Kaufmann, Zürich
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Keren Cytter, Ohne Titel, 2009, Video (Stills) | Courtesy Keren Cytter / Galerie Elisabeth Kaufmann, Zürich

Für die Ausstellung hat Keren Cytter drei neue Filme geschaffen. Ausgangspunkte für diese Filme stellten brutale Kriminalfälle dar, auf die Keren Cytter als gewöhnliche Nachrichten im Frühjahr 2009 gestoßen war und die allesamt bizarre Züge tragen. Der erste Fall handelt von einem Mann, der nach einem Streit seiner Frau in den Kopf schoss und sich anschließend selbst mit derselben Waffe umbrachte. Die Frau überlebte jedoch mit der Kugel im Kopf. Als ein Polizist eintraf, wurde er von der Frau begrüßt und bekam von ihr angeblich sogar Tee serviert. Die zweite, noch groteskere Geschichte, handelt von einem russischen Mann, der den Sprung aus dem fünften Stock eines Wohnhauses gleich zweimal überlebte. Der betreffende Mann, ein gewisser Alexei Roskov, war betrunken, als er, wohl aus Überdruß, das erste Mal aus dem Fenster sprang. Den Meldungen zufolge erklärte er später, er sei anschließend ein zweites Mal aus dem fünften Stock gesprungen, einfach weil er es nicht ertragen konnte, wie sich seine Frau so laut keifend über seinen ersten Sprung aufregen konnte. Bei dem dritten Ereignis starb ein Mann mit dem Namen Ben Kinsella in einem Vorort von London bei einem Angriff durch drei junge Männer: Sie töteten ihn durch Messerstiche, und zwar, laut Nachricht „durch elf Stiche in fünf Sekunden.“ Für die drei Filme der Ausstellung hat Keren Cytter die Schlüsselszenen dieser haarsträubenden Fälle mit Mitgliedern ihrer gerade neu gegründeten Tanzgruppe D.I.E NOW (Dance International Europe Now) nachgespielt und dabei in neue Kontexte gestellt. Die filmischen Dialoge beispielsweise sind eine Erfindung der Künstlerin und betonen die bittere Ironie der Ereignisse. Die Szenen entstanden weder in Russland noch in London, sondern in Wohnungen und an anderen Orten in Berlin und bleiben unspezifisch. Erzählerisch wird das Film-Set jedoch durch die gezeigten und verwendeten Objekte, durch die coole 60er Jahre Kriminalfilmmusik (ein zeitgenössischer Remix) und insbesondere durch das trashige Architektur-Ambiente. Die ohnehin schon schwer zu glaubende Realität der Geschichten kippt ins Fiktionale, ins Metaphorische und behält dennoch ihre Drastik. Neu entstandene Zeichnungen, die Keren Cytter neben die Filmprojektionen gehängt hat, verstärken das zeichenhafte, symbolische Moment der Filme. Besonders bemerkenswert ist darüber hinaus, der Ort, an dem die Filme im Ausstellungsraum gezeigt werden: nicht nur im zentralen Galerieraum, sondern auch in einem kleinen Seitenraum, einer Art Depot, und im Notfalltreppenhaus. Bei beiden handelt es sich um ehedunkle, enge Räumlichkeiten – und dem Klischee nach daher sehr typische Orte für Verbrechen. Durch deutliche Referenzen zum „film noir“, durch effektvolle Schnitte und Wiederholungen und auch einer Offenheit, die dem „Absurden Theater“ ähnelt, gehen Keren Cytters Filme weit über die Frage nach den gemeldeten Verbrechen hinaus. Sie sind viel eher als poetische Spiele zu werten, welche die Grenzen der menschlichen Existenz ausloten, „Endspiele“ im Beckettschen Sinne, doch ganz und gar in unserer Mediengesellschaft verankert.

Die neue Arbeit von Omer Fast besteht aus drei Teilen. Das Projekt basiert auf einem Gespräch mit einem westafrikanischen Flüchtling, der in London jüngst Asyl beantragt hatte. In „Nostalgia I“ sieht man einen britischen Wildhüter beim Bau einer Tierfalle. Der Ton dieses Filmes ist allerdings ein Mitschnitt des Original-Interviews, in dem der Flüchtling selbst detailreich vom Bau einer solchen Falle berichtet. Es folgt die Dramatisierung des Gesprächs, in der zwei Schauspieler jeweils den Flüchtling und den Künstler spielen. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine geradlinige Übernahme seiner Erfahrungen, sondern um den von Fast manipulierten Idealverlauf des Gesprächs. Deutlich wird, wie sich die Führung des Gesprächs vom Künstler zum Flüchtling verlagert, der somit seine Wahrheit den Erwartungen des Interviewers an passt. Den Hauptteil der Arbeit bildet der aufwändig in London gedrehte und im Folgenden von Omer Fast beschriebene Film. Dieser nimmt bestimmte Details der Lebensgeschichte des Flüchtlings wieder auf, und bettet sie in diverse Szenen ein, die in einer möglichen Zukunft spielen, oder vielleicht eher in einer alternativen Vergangenheit.

„1980 brach der Jüngste Tag über die Welt herein und versetzte sie tief in ein zweites Mittelalter zurück. Nordeuropa ist nur noch Niemandsland und Großbritannien ist zu einem unfruchtbaren Sumpf geworden, in dem nomadische Stämme umherstreifen und sich wegen der aufgebrauchten Ressourcen gegenseitig bekämpfen. Der einzige stetige Export dieser einst sagenhaften Insel sind die Migranten, die verzweifelt und mit der Hoffnung auf ein friedlicheres und glücklicheres Leben über das europäische Festland nach Afrika strömen. Die Geschichte spielt in einer westafrikanischen Kolonie, einer kollektiv abgesperrten Gemeinschaft, die festungsähnlich sowohl über einer alten Mine haust als auch im Untergrund. Ein Flüchtling aus Surrey im Süden Großbritanniens wird zur genauen Lage eines weiteren Tunnels verhört, der von Schleppern dazu benutzt wird, weitere Briten in die Kolonie zu schmuggeln. Ihm wird das Geschäft seines Lebens angeboten, und er muss sich nun dafür entscheiden, seine Freunde zu verraten und seine Zukunft zu sichern. In den 24 Stunden, die ihm für die Entscheidung bleiben, wandert seine Geschichte durch die Kolonie und wird von ihren Bewohnern, den eigenen Interessen folgend, angeeignet und nacherzählt.“ (Omer Fast)

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Omer Fast, Nostalgia I, 2009, HD Video | Courtesy Omer Fast / gb Agency, Paris / Postmasters, New York / Arratia, Beer, Berlin
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Omer Fast, Nostalgia I, 2009, HD Video | Courtesy Omer Fast / gb Agency, Paris / Postmasters, New York / Arratia, Beer, Berlin
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Annette Kelm, Michaela, Coffe Break, 2009, 6 Teile, C-Prints | Courtesy Annette Kelm / Johann König, Berlin | Foto: Jens Ziehe
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Annette Kelm, Venice Zurich Brussels, 2009, C-Print | Courtesy Annette Kelm / Johann König, Berlin

Ein Sonnenblumenfeld, fünf Kirschen auf einem gemusterten Stoff, eine Frau vor einem karierten Tuch – die Bildmotive von Annette Kelm geben Rätsel auf. Sie scheinen einfach und sind es nicht. Immer hat sich etwas Seltsames, Absurdes in die Bilder geschlichen. Bei dem Foto „Venice Zurich Brussels“ sind es vor allem die schrillen Farben und Muster der Stoffe. Vage erinnern sie an die Mode der 70er Jahre. Gleichzeitig könnte man in dem hellblau-roten Muster auch eine Landkarte erkennen, mit vielen Inseln darauf. Bei „Michaela, Coffee Break“ verwundert die ungelenke Haltung der jungen Dame. Warum hält sie nur den Becher so hoch? Handelt es sich gar um ein Zitat einer altmodischen Geste, wie sie manchmal auf Porträts zu finden ist? Annette Kelm schafft es, durch Irritationen die Neugierde zu wecken, Fragen über mögliche Zusammenhänge aufzuwerfen. Manches erscheint zufällig, improvisiert. Doch in allen Bildern herrscht eine fast unheimlich zu nennende Ruhe. Keinerlei Handlung lenkt von den eigenwilligen Bestandsaufnahmen ab – seien sie nun Dingen oder Menschen gewidmet. Im Grunde handelt es sich bei den Fotos von Annette Kelm weniger um Aufnahmen als um Inszenierungen. Die Kirschen beispielsweise wirken so artifiziell, weil sie das auch sind: kleine Kunstwerke aus Murano-Glas, in denen sich das Licht und auch die Künstlerin selbst spiegeln. Die Bilder von „Michaela, Coffee Break“ wiederum entstanden als Schwarz-Weiß und Farb-Polaroids, die anschließend mit einem Farbfilm nochmals abfotografiert wurden. Daher die farbige Tonigkeit der Fotos. Die veraltete Technik bringt Vergangenheiten in das Porträtspiel, lässt zusammen mit dem gerasterten Stoff im Hintergrund etwa an Bewegungsstudien aus der Frühzeit der Fotografie denken. Nur: bei Annette Kelm bewegt sich nichts. Die serielle Abfolge der Aufnahmen dokumentiert eher die langatmige Tätigkeit des Porträtierens – also die Arbeit der Fotografin selbst. Ähnlich verhält es sich bei „Archaeology and Photography“, einer Art surrealem Gipfeltreffen aus Büchern und Zucchini. Die Buchtitel deuten Referenzen an, Annette Kelms Leidenschaft für abgelegte und zugeschüttete Dinge des Alltags etwa, die sie für ihre Fotos wieder ausgräbt. Ihr Interesse für skurrile Stoffe belegt dies, oder auch ihre Begeisterung für Herbert Tobias, einem wichtigen Porträtfotografen der 60er und 70er Jahre, der später auch für Plattencover Fotos geschaffen hat. Annette Kelm hat die Plattencover in einer Ausstellung entdeckt und samt ihrer musealen Inszenierung fotografiert. In der daraus entstandenen Serie „Herbert Tobias Record Covers, Berlinische Galerie ‚Blicke und Begehren‘ 16.5.-1.9. 2008“ rückt weniger die Fotografie in den Blick als vielmehr die kulturelle Schichtung, der wir bei jeder Art von Rückblick ausgeliefert sind. Gerade dieses Zusammenspiel von eigentümlichen Verweisen und Erinnerungen ist es, was die Werke von Annette Kelm auszeichnet und auch innerhalb der jüngeren Fotografie-Entwicklung einzigartig macht.

Danh Vo arbeitet mit Objekten, die eine Geschichte mitbringen. Seine Objekte sind jedoch keine stillgelegten Ready-mades wie bei Duchamp, sondern sind vom Künstler als Kommunikationsmittel eingesetzt, die anregen über bestimmte historische, politische oder auch gesellschaftliche Zusammenhänge nachzudenken. Die eigene Herkunft von Danh Vo aus Vietnam, die Flucht der Familie nach Europa, sein Aufwachsen in Dänemark – das alles spielt in die Auswahl und die Präsentation der Objekte hinein. Vordergründig teilt sich Danh Vos Beitrag für die Ausstellung in drei Bereiche: Einen Dachgarten mit Rhododendren, den man gleich am Anfang der Ausstellung sieht, dann der Präsentation von einem Kronleuchter und schließlich verschiedener anderer Objekte aus Vietnam. Die Pflanzen verweisen auf katholische Missionare, die im 19. Jahrhundert in Vietnam lebten. Der Kronleuchter ist eine Sensation: Danh Vo ist es gelungen, ihn aus dem legendären Hotel Majestic in Paris zu erwerben, das in der Politikgeschichte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielte. So wurde unter diesem Kronleuchter z.B. 1973 der Vietnam-Friedensvertrag unterzeichnet, was Vo in Pressefotografien entdeckte. Durch die Kombination des Kronleuchters mit älteren Arbeiten aus dem Jahr 2007, allesamt historische vietnamische Objekte des 19. Jahrhunderts, lenkt Vo den Blick auf die Geschichte seines Geburtslandes Vietnam. So rücken neben dem Ende des Vietnamkriegs vor allem ganz andere, hierzulande kaum bekannte Aspekte des Landes in den Blick: nämlich die imperialistische und gewalttätige Expansionspolitik der Vietnamesen selbst gegenüber den Ureinwohnern des vietnamesischen Hochlands. Da Angehörige dieser „Bergvölker“ im Indochinakrieg und im Vietnamkrieg jeweils auf Seiten Frankreichs bzw. der USA gekämpft hatten, gab es nach der Wiedervereinigung Vietnams Repressionen gegen diese Völker. Gerade von diesen wurde die Kolonialisierung durch die Franzosen durchaus als Befreiung empfunden, verbunden mit all den Einflüssen, die die katholische Missionierung mit sich brachte. Auch zeigt die aktuelle Situation der Katholiken in Vietnam die Nachwirkungen dieser Mission. Hier besteht auch der Zusammenhang zu dem von Vo angelegten Dachgarten, der ausschließlich Pflanzen enthält, die durch französische Missionare nach Europa gelangt sind. Viele Missionare wurden im 19. Jahrhundert verfolgt und mit bestialischen Methoden von den damals herrschenden Vietnamesen hingerichtet. Als Märtyrer des Glaubens wurden viele von ihnen schließlich heiliggesprochen. Die Frage nach den Opfern und Tätern wird so einmal mehr umgedreht, was den Reiz dieser Arbeiten ausmacht. In der Ausstellung sind diese Zusammenhänge in Texten an der Wand angedeutet. Der Besucher muss sich jedoch seine eigene Version der Geschichte erarbeiten.

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Foto: Jens Ziehe
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Foto: Jens Ziehe

Erste Jury

Massimiliano Gioni

Jessica Morgan

Beatrix Ruf

Janneke de Vries

Bernhart Schwenk

Zweite Jury

Daniel Birnbaum

Sam Keller

Christine Macel

Gabriele Knapstein

Udo Kittelmann