(geboren 1978 in Gießen, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main)
Anne Imhof verbindet in ihrer künstlerischen Praxis die verschiedenen Produktionsstrategien von Skulptur, Zeichnung, Malerei, Video und Performance. Ihre vielschichtigen Werke knüpfen an die Geschichte der Performance in Kunst und Musik an, um den Performancebegriff weiterzuentwickeln. Sie untersucht unterschiedliche Methoden der Dokumentation von Performances oder thematisiert in ihren Arbeiten Rituale und geheime Zeichensysteme von Nischengemeinschaften. Imhof choreographiert Bewegungsabläufe, Gesten und Sprachfragmente ihrer Performer zu visuellen Bildern, die permanenten Veränderungsprozessen unterliegen. Sie legt ihre Arbeiten in mehreren Versionen an, die sie über einen undefinierten Zeitraum an unterschiedlichen Orten und im Lauf der Zeit in verschiedenen Varianten realisiert.
14. – 25. September 2016
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Im Herbst/Winter 2015 zeigte Anne Imhof (geb. 1978 in Gießen, lebt in Frankfurt am Main) im Hamburger Bahnhof mit Forever Rage einen Auszug aus ihren beiden Werkzyklen Rage und Deal. Mit dieser Collage ihrer letzten Ausstellung und Aufführung verbindenden Stücke gewann sie den Preis der Nationalgalerie 2015. Im Herbst 2016 kehrte Anne Imhof mit ihrer Preisträger-Präsentation Angst II nach Berlin zurück.
Angst ist eine Oper in drei Akten, die sich zeitlich und räumlich über drei Stationen erstreckt: Die Kunsthalle Basel, die Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof und La Biennale de Montréal widmeten Anne Imhof im Jahr 2016 drei Ausstellungen, die – wie drei Akte – miteinander verbunden waren. Einen ersten Akt präsentierte die Künstlerin als Auftakt im Juni 2016 in der Kunsthalle Basel. Angst II in Berlin bildete den Höhe- und Wendepunkt dieses Werkkomplexes. Abgeschlossen hat Anne Imhof die Werkfolge mit einem dritten Teil, den sie für La Biennale de Montréal entwickelte. Im Hamburger Bahnhof schuf die Künstlerin für die Dauer von 10 Abenden eine malerische Komposition, die sich aus Musik, Texten, skulpturalen Elementen und Akteuren, Falken und gesteuerten Drohnen zu einem Gesamtbild zusammenfügte.
Angst II teilte die historische Halle des Hamburger Bahnhofs durch ein Hochseil und ein dichter Nebel ließ die Architektur verschwimmen. Die Musik des Stücks erfasste den gesamten Ausstellungsraum und unterwarf die entstehende Malerei ihrem Rhythmus. Während bei dem in der Kunsthalle Basel gezeigten Akt in einer eher temporalen Anordnung Lieder als Arien auftauchten und der Marsch, ein Walzer und eine Ballade eine Rolle erhielten, wurde die musikalische Komposition im Hamburger Bahnhof über einzelne Systeme gespielt, die an Bühnenaufbauten eines Rockkonzerts oder auch an die über den gesamten Hamburger Bahnhof verteilten hauseigenen Lautsprecher für öffentliche Durchsagen erinnerten. Die Musikstücke in Angst II wurden für diesen Akt geschrieben und begleiteten das Werk teils gewaltsam surreal und komisch, teils sehr still. Die Kompositionen wurden vor allem für Chöre geschrieben, die nicht von Stimmen gesungen werden. Sie wurden in ihre einzelnen Spuren zerlegt, über die Mobiletelefone der Tänzer gespielt und fügten sich zu einem orchestralen Ganzen. Ein Seiltänzer durchschritt den halbdunklen Raum wie eine tickende Uhr, die den Puls dieses Stücks vorschlug.
Die historische Halle des Hamburger Bahnhofs wurde mit Angst II zum Schauplatz einer „Ausstellung als Oper”, deren Figuren sich nach dem Eröffnungsabend über die Dauer der Ausstellung in verschiedenen Konstellationen zeigten.
Christian Falsnaes
Florian Hecker
Anne Imhof
Slavs and Tatars
11. September 2015 – 17. Januar 2016
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Bei Christian Falsnaes trifft man auf Inszenierungen, in denen nicht nur der Künstler, sondern auch sein Publikum zum Material wird. Christian Falsnaes macht die Betrachter dabei zu Akteuren wie auch zu Voyeuren, wenn sein Publikum sowohl selbst aktiv wird als auch andere bei ihren performativen Aktivitäten beobachtet. Er verstärkt diesen Effekt durch den Einsatz des Mediums Film, das vermeintlich zur passiven Betrachtung einlädt und hier in der Ausstellung durch einen Performer erweitert wird.
Auch das im Hamburger Bahnhof gezeigte Werk von Florian Hecker entfaltet sich erst durch die Aktivität der Besucher vollständig: Ihr Navigieren durch die Installation, ihre Erfahrung der klanglichen Unterschiedlichkeit verschiedener Standpunkte und Perspektiven ist ein integraler Bestandteil von Heckers räumlichen Kompositionen. Denn nur im realen Raum, in der Selbsterfahrung lässt sich die Klanginstallation in ihrer Komplexität erfahren.
Anne Imhof betont wiederum die Blickbewegung der Betrachter, also jene Wahrnehmung, mit der ein Kunstwerk überhaupt erst zum Leben erweckt wird. Ihre Choreografien mit Performern und Klängen sind ebenso wie skulpturale Elemente und Zeichnungen gleichwertige Bestandteile ihrer „Bilder“: Um diese zu erfassen, ist hier neben der Blickbewegung auch die körperliche Bewegung des Publikums gefragt.
Slavs and Tatars schließlich führen nicht nur Lecture Performances durch, sondern laden die Besucher ein, ihre Werke zu benutzen darauf zu schaukeln, zu sitzen oder es sich gemütlich zu machen. Vor allem das Lesen, zum Beispiel von ausliegenden Publikationen, oder auch das Gespräch zwischen den Besuchern, zu denen die Künstler aktiv einladen, werden hier zum Bestandteil einer performativen Erfahrung von Sprache.
Begründung der Jury:
Dokumentar- oder Spielfilm? Politischer Film oder metaphysisches Drama der Einsamkeit und Verlorenheit des Menschen in dieser von ihm unwirtlich her- und zugerichteten Welt? Egal. Dieser Film kennt kein enges Entweder-oder, sondern er bewegt sich im geistig-künstlerischen Raum des weiteren Sowohl-als-auch. Seine kategorische Uneinordbarkeit irritiert, die Präzision seiner Form und der Kompositionen seiner Bilder tun dies auch. Damit verweigern sie einen vereinnahmenden und banalisierenden Zugriff. Ein Film über uns alle in einer Zukunft, die längst begonnen hat und uns schmerzlich ahnen lässt, dass wir neben unserer Einsamkeit, neben unserer Utopielosigkeit und unserem Unvermögen, einfach gelingend zu lieben auch verdursten werden in einer trinkwasserlosen, verwüsteten Welt, die nichts weiter ist, als die Folge unserer inneren Dürre an schöpferischer Sorge um unsere Um- und Mitwelten und unserer Verödung an visionären Vorstellungen und Realisierungen eines nachhaltigen Gestaltens unserer Leben. Ein wichtiger Film, der sensibilisiert und verstört und den Kopf befreit für das was erzählens- und bedenkenswert ist, von einem Regisseur, Bastian Günther, der diesen Preis für seinen Film „California City“ und die ihm und seinem Team damit zum Ausdruck gebrachte Anerkennung und Wertschätzung zweifellos verdient.
Marius Babias
Fritzi Haberlandt
Fred Kelemen
Dr. Eva Kraus
Polly Staple
Bernard Blistène
Manuel Borja-Villel
Elena Filipovic
Gabriele Knapstein
Udo Kittelmann