Preisträgerin

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Monica Bonvicini

(geboren 1965 in Venedig, Italien, lebt und arbeitet in Berlin)

Shortlist

John Bock

Monica Bonvicini

Angela Bulloch

Anri Sala

Shortlist-Ausstellung

14. September – 4. November 2007
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin

John Bocks Beitrag war zunächst ein Vortrag, der wie immer aus einem virtuosen Redeschwall und Aktions-Gewitter bestand. In diesem Vortrag verband der Künstler den Urknall mit dem ländlichen Leben auf der grünen Koppel, benutzte Q-Tips als Schraubenschlüssel und bezeichnete seinen dramatischen Fenstersturz als „cash flow“. Immer geht es bei John Bock um die Verquickung von Wissenschaft und Kunst, der assoziativen Überblendung von Volkswirtschaft und Landwirtschaft, den ästhetischen Bogen, der in der meech (milch) beginnt und bei einer Regressionsanalyse endet. Die vorgetragenen Texte sind nicht non-sense, sondern Ausdruck einer beständigen Identitätssuche des modernen Zeitgenossen, der zwischen Leistungswelt und Selbstverwirklichung aufgerieben wird. Der Künstler als trauriger Clown, als postmoderner Buster Keaton, wie Jens Hoffmann geschrieben hat. Wichtigster historischer Bezugspunkt von Bock ist nicht Dada, wie immer wieder gesagt wird, sondern Antonin Artaud – also jener legendäre Theatermann der klassischen Moderne, der die Bühne für die anarchischen und spirituellen Kräfte und für den Blick auf das Universum öffnete. 1933 widmete Artaud der „Pest“ ein Bühnenwerk, das zur Inspirationsquelle für die heutige Aktion von John Bock wurde. Der „PestKOP“ John – durch eine Plastikperücke vergrößert – muss erst das Museum verlassen, um sein Heil außerhalb zu finden, nämlich am Spreekanal und schließlich in einem fellinihaften Schiff der Träume, mit dem er vom Museum aufbricht und jede Kunstwelt hinter sich lässt. Das Museum – eine Farce. Der Raum blieb leer.

Monica Bonvicini eröffnete die Ausstellung mit einem Raum, der auf den ersten Blick so wirkte, als sei er die Fortsetzung der von Hilla und Bernd Becher fotografierten Fördertürme: auch bei Bonvicini beherrschten rohe Strukturen und ein Wirrwarr aus metallenen Vertikalen und Horizontalen das Werk. Schwere Ketten, schwarzes Leder, frei hängende Schaukeln signalisierten jedoch: dies ist ein Spielplatz für Erwachsene, ein Trimmgeräte-Park für Liebhaber des harten Sex. Zwölf Schaukeln mit Öffnungen für Beine und Arme und Ösen zum Anbringen von Fesseln luden zur Benutzung ein. Diese Einladung ist zweideutig. Sie verweist, ebenso wie die Kunst von Paul McCarthy oder Mike Kelley, auf die sexuellen Tabubereiche, auf die Sado-Maso-Szene, sozusagen auf den „darkroom“ der Gesellschaft, den Bonvicini hier taghell ausleuchtete. Das fiese Rasseln der Ketten, die Dominanz und Dichte des hängenden Metalls, durch das man sich als Besucher hindurchkämpfen musste, ließ auch an Gefängnisse denken, an Folterung von Abu Ghrain bis zur Bundeswehr-Kaserne. Gerade das kalte Licht und die zellenartige Wirkung des Raumes verstärkten solche Assoziationen. Anderseits sind die Schaukeln viel zu edel und elegant, um nur Mahnmal oder lustvoller Spielplatz zu sein. Der Minimalismus der Formen und Farben – wenige Linien, die immer gleichen Materialien, alles in schwarz und metallic – erhebt den Spielplatz zur formalen Skulptur, die in ihrem rohen Baustellen-Charme schließlich auch den Museumsraum umdeutet. Die Installation erscheint als transitorischer Ort – eine sehr schöne Metapher für eine Ausstellung, die so temporär ist wie ein Preis.

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Damián Ortega, Nine Types of Terrain, 2007, 9 x 16 mm Filmprojektionen, 3 Min., Loop | Foto: David von Becker

Angela Bulloch betrachtet die Welt sehr systematisch. Für den Hamburger Bahnhof hat Bulloch eine komplexe und zugleich überwältigende Sound- und Lichtinstallation geschaffen. Im Zentrum befinden sich zwei Plattformen: ein Boden und eine Decke, die gegeneinander versetzt und aufeinander bezogen sind und eine artifizielle Bühnensituation herstellen. Leuchtfäden verbinden die Bühne mit dem Raum und in ihrer Verästelung auch mit dem Titel der Installation „The disenchanted forest“ – der entzauberte Wald. Die Entzauberung ist dabei ganz analytischer Natur: im Tiergarten und anderswo hat Angela Bulloch bemerkt, dass die Bäume von der deutschen Forstverwaltung mit Metallplättchen gekennzeichnet werden. 1001 solcher Metallplättchen hat Bulloch nun im Raum aufgehängt und ein rasender Lichtkegel, der über die Nummern huscht, thematisiert das endlose Zählen der Nummern. Plakate mit gerasterten Motiven an der Wand verweisen in die Kunstgeschichte, nämlich auf die Op-Art und auf den Lichtkünstler Adolf Luther, dessen Krefelder Atelier auf einem Poster zu sehen ist. Auch die spinnweben-artigen Fäden sind nicht nur Naturreflex, sondern lassen sich vor allem auf Marcel Duchamp beziehen: „Sixteen Miles of String“ heisst seine berühmte Installation in der Surrealisten-Ausstellung von 1942 in New York, mit der Duchamp den gewöhnlichen Ausstellungsraum verkabelt und damit durchbrochen hat. Auch bei Bulloch verdeutlichen die Fäden die Verortung der Kunst im Museumsraum, bei ihr ist jedoch aus den 16 Meilen „ein Kilometer“ geworden, 1000 Meter also, passend zu den 1001 Plaketten der Bäume. Diese beständige Parallelen und Analogien betreffen auch die Interaktion von Klang und Licht: die sphärische Musik, komponiert im Auftrag der Künstlerin von Florian Hecker, ist elektronischer Natur und schafft zusammen mit den wechselnden Lichtstimmungen eine digitale Romantik, die im selben Moment, in der sie sich einstellt, sogleich an der laborartigen Nüchternheit der Installation zerschellt. Letztlich ist die Entzauberung des Waldes auch eine Entzauberung der Kunst, deren Bühnenmittel – Raum, Zeit, Ton, Licht – von der Künstlerin bloßgelegt werden. Diese Entzauberung geschieht jedoch mit solch einer Magie, dass jede Systematik wiederum aufgehoben ist.

Die Welt von Anri Sala wiederum ist fest gebaut. Man betritt sie über Korridore und einen dunklen Plastikboden, was bereits erahnen lässt, dass künstliche Lebensräume hier eine große Rolle spielen. Tatsächlich ist der Film, den Anri Sala für die Ausstellung gedreht hat, im Märkischen Viertel entstanden, also in jenem steinernen Traum der Architekten der sechziger Jahre, die mit einer großräumigen Planung von 100.000 Wohnungen die sozialurbanen Probleme in den Griff kriegen wollten. „Lange Jammer“ heißt das Hauptgebäude des „Märkischen Viertels“, als Stichwort wie geschaffen für einen Künstler wie Sala, der prompt seinen dreizehnminütigen Film danach benennt. „Long Sorrow“ ist ein Film über Grenzbeschreitungen, über das Wechselspiel von innen und außen, von Nähe und Ferne. Im Zentrum steht der schwarze Musiker Jemeel Moondoc und seine Free-Jazz-Improvisation in einem fast surrealen Szenario. Denn der Jazzer spielt nicht im Zimmer, sondern vor dem Fenster im 18. Stock, frei über der Stadt schwebend. Das Fenster – seit Alberti in der Renaissance der Inbegriff des Bildes und der Kunst – wird zum Projektionsfeld einer äußeren Welt, die sich nach innen spiegelt und sich mit der Welt des Musikers nur über abstrakte Bilder verbindet. Autos und Busse durchqueren den Geist des Saxofonisten, während er spielt. Jazz und Betonraster, Live-Performance und Angst vor dem Absturz greifen ineinander. Als Zuschauer steht man mittendrin, denn die Ausstellungsarchitektur nimmt Bezug auf die Blockstruktur des Märkischen Viertels. Es ist gerade diese Offenheit, das Entgrenzte, und das nicht Narrative, das den Film und den dazu gehörigen Raum als rätselhaft und symbolisch erscheinen lässt. Mit dem Bild eines Schwarzen in der Trabantenstadt und auch mit den Schwenks über die Betonstrukturen der monströsen Architektur gewinnt der Film auch bedrohliche Untertöne. Das freie Spiel erscheint als Zitterpartie und endet demonstrativ mit stummen Bildern eines landenden Flugzeugs, das geradewegs in das Gebäude zu rasen scheint. Die Möglichkeiten des freien Lebens, scheint uns Anri Sala mit „Long Sorrow“ zuzurufen, sind fragil und schutzbedürftig.

Erste Jury

Yilmaz Dziewior

Ulrike Groos

Jens Hoffmann

Zweite Jury

Christian Boros

Lynne E. Cooke

Charles Esche

Gabriele Knapstein

Angela Schneider